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Umstellung auf IATF 16949 – Erfahrungsbericht eines IATF-Zertifizierungsauditors

Hanspeter Forrer, Geschäftsführer / Inhaber der hp-fo GmbH, freier IATF-Zertifizierungsauditor bei der SQS und VDA 6.3 Auditor, teilt seine Erfahrungen aus der Praxis zum Thema Umstellung von ISO TS 16949:2009 zur IATF 16949:2016.

Trotz anfänglichen Diskussionen / Vorbehalten und der Prüfung, ob man die Umstellung durchführen möchte, wurde die Umstellung der ISO / TS auf die IATF 16949:2016 mehrheitlich von allen Unternehmen durchgeführt und abgeschlossen. Die wenigen Unternehmen, welche dieses Transition Update bis zum 14. September 2018 nicht erfolgreich abgeschlossen haben, erhalten die Möglichkeit, bis zum 14. März 2019 eine Erstzertifizierung ohne Readiness Review durchzuführen. Nach Ablauf dieser Frist wird eine volle Erstzertifizierung, wie für alle Neueinsteiger in die IATF-Zertifizierung, erforderlich.

Top 10 – Häufigkeiten gemäss IATF (Stand 03.2018)

Quelle: IATF 16949 Transition Status Update, London Stakeholder Conference, March 7,2018

 

Quelle: IATF 16949 Transition Status Update, London Stakeholder Conference, March 7,2018

Einigen Erklärungen zu ausgewählten NCs:
Dokumentierte TPM-Prozesse mit Kennzahlen im Managementreview (8.5.1.5):
Die Instandhaltung / Wartung der Anlagen wird in den Unternehmen sehr unterschiedlich gehandhabt, vom Crash Management («Wir machen nur etwas, wenn es defekt ist.») bis hin zu geplantem vorbeugendem und vorausschauendem Unterhalt. Nun fordert die IATF dokumentierte Instandhaltungs- / Wartungsziele und deren Berücksichtigung im Managementreview. Das bedeutet, dass diese auf Managementebene beurteilt werden müssen. Die neuen Anforderungen, werden unterschiedlich umgesetzt.

Notfallplan mit jährlichem Review inkl. Geschäftsleitung (6.1.2.3):
In jedem Unternehmen gibt es verschiedene Notfallplanungen / Risikoanalysen, sei es aufgrund von Versicherungen oder betriebswirtschaftlichen Forderungen (Gesetze IKS) etc. Bei den Notfallplänen der Automobilanforderungen liegt der Fokus der internen und externen Risiken jedoch auf der Aufrechterhaltung der Lieferfähigkeit und der Erfüllung von Kundenforderungen im Falle von unerwarteten Ereignissen. Diese Massnahmen müssen jährlich in einem multidisziplinären Team, einschliesslich der obersten Leitung, nachweisbar bewertet werden.

 

Aus der Praxis:
Bei internen Audits oder bei Audits durch die Zertifizierungs-Gesellschaft gibt es immer wieder Auffälligkeiten und Diskussionen in folgenden neuen Punkten:

Produktsicherheit (4.4.1.2):
Diese Anforderung umfasst einen dokumentierten Prozess, welcher erstellt werden muss, auch wenn zurzeit keine produktsicherheitsrelevanten Produkte hergestellt werden. Im Weiteren gibt es Forderungen von VW und BMW, dass ein Produktsicherheitsbeauftragter (PSB) benannt sein muss. Diese Forderungen müssen in der ganzen Lieferkette weitergegeben werden. Dabei muss auch die Ermittlung des Schulungsbedarfs (u.a. Ausbildung PSB) sowie die festgelegten verantwortlichen Personen (Benennung) eingeschlossen sein.

Externe Labors (7.1.5.3.2):
Die Anforderung, dass alle externen Prüflabors auf den Kalibrierungszertifikaten oder Prüfberichten ihr Akkreditierungssiegel tragen müssen, fordern viele Unternehmen heraus. Teilweise ist es schwierig, für gewisse Fabrikate des Herstellers ein akkreditiertes Zertifikat zu erhalten. Nun wurde in den FAQ der IATF erwähnt, dass man davon ausgeht, dass der Hersteller die notwendigen Fähigkeiten besitzt, die selber hergestellten Prüfmittel zu kalibrieren. Trotzdem muss der Kunde entsprechend informiert werden. Dies wird aber oft nicht berücksichtig.

Lenkung nachgearbeiteten Produkte (8.7.1.4):
Grundsätzlich erwähnen viele Unternehmen, dass es bei ihnen keine Nacharbeit gibt. In der Produktion angekommen, sieht man externe Beauftragte beim Aussortieren oder Mitarbeitende mit Nacharbeitsaufträgen. Grundsätzlich kann definiert werden, dass alle Arbeitsschritte, welche nicht im Prozessablauf aufgelistet sind, Nacharbeiten sind. Somit kommen die Forderungen an die Lenkung nachgearbeiteter Produkte vollumfänglich zur Anwendung. Dies umfasst Methoden zur Risikoanalyse, Arbeitsanweisungen für die Nacharbeit, welche den Mitarbeitenden zugänglich gemacht werden müssen, sowie dokumentierte Informationen über die durchgeführten Prüfungen und die weitere Verwendung dieser Produkte.

Problemlösungsprozess (10.2.3):
Die Forderung nach einem dokumentierten Prozess zur Problemlösung ist grundsätzlich nicht neu. Trotzdem war der Fokus bis jetzt bei den Kundenreklamationen (z.B. in Form eines 8D-Reports). Neu ist die Forderung auch für die Lösung von Problemen in  der Entwicklung von Produkten, in der aktuellen Fertigung (Interne Fehlermeldungen) und bei Auditfeststellungen anwendbar. Zu den Methoden werden, zusätzlich zum 8D-Bericht auch z.B. 5-Why und Ishikawa gezählt.

Fortlaufende Verbesserung – Ergänzung (10.3.1):
Verbesserungen werden in den Unternehmen auf den verschiedenen Stufen oft durchgeführt. Gemäss IATF sind fortlaufende Verbesserungen umgesetzt, sobald die Produktionsprozesse statistisch fähig und beherrscht sind. Themen, wie Massnahmen zur Verringerung von Prozessstreuungen und Verschwendung oder Reduktion des Risikos in der Risikoanalyse (FMEA), werden bei den Auswertungen von Verbesserungen selten konkret berücksichtigt.

8.3.2.2 Fähigkeit der Produktentwicklung:
Die Fähigkeit der Produktentwicklung (umfasst ebenfalls die Fähigkeit für die Prozessentwicklung) und deren anwendbaren Methoden umfassen u.a. auch die Risikoanalysen. Diese Methodenkompetenzen sind teilweise sehr minimal vorhanden und werden meistens dem QM delegiert. Die IATF erwartet, dass die Fähigkeiten betreffend APQP/RGA auch in den Entwicklungsabteilungen und, vor allem, im Projektmanagement etabliert sind.

7.1.5.1.1 MSA für alle Prüf- und Messsysteme gemäss Produktionslenkungsplan (PLP):
Die Beurteilung aller Arten von Prüfungen und Messungen, der im Produktionslenkungsplan festgelegten Prüf- und Messsysteme, ist eine alte Forderung, welche bereits in der ISO / TS  Bestand hatte. Dennoch haben viele Unternehmen die MSA für die kundenspezifischen Merkmale durchgeführt, jedoch für die restlichen Prüf- und Messsysteme, insbesondere die attributive Messsysteme, wird die MSA nicht durchgeführt.

 

Weitere Herausforderungen in der Zukunft
Zurzeit kommen noch FAQs / SIs zu den Zertifizierungsnormen und der IATF hinzu, welche zeitnah ins Managementsystem zu integrieren sind. Zusätzlich haben auch die Kunden neue Anforderungen, u.a. aus dem Grund, dass die Weitergabe von Anforderungen in der ganzen Lieferkette durch die IATF gefordert ist.

 

Fazit
Die Rezertifizierung nach der neuen IATF ist vollzogen. Jetzt kommt die Phase, in welcher die Festlegungen und dokumentierten Prozesse und Informationen im täglichen Leben angewendet und umgesetzt werden müssen. Viel Erfolg.

Hanspeter Forrer, IATF-Auditor und VDA 6.3 (2016) Auditor

 

Workshop «Anwendung von Core Tools in der Automobilindustrie»
Zur Aus- und Weiterbildung der Anwendung der Core Tools der Automobilindustrie in ihrem Unternehmen empfehle ich den Workshop „APQP, Core Tools und QM in der Automobilindustrie“, welcher vom 2. bis zum 4. Juli 2019 bzw. vom 12. bis zum 14. November 2019 stattfindet (Info: www.hp-fo.ch, www.thomcom.biz, ).

Umstellung auf IATF 16949:2016 – keine Hexerei

Die IATF 16949 wartet gegenüber der ISO TS 16949 mit ein paar verschärften Anforderungen auf. Wer sich jedoch mit der ISO 9001:2015 befasst hat und auf ein funktionierendes Management System nach ISO TS 16949:2009 aufbauen kann, wird die Hürden meistern. Eine Zumutung ist die kurze Umstellungszeit von faktisch neun Monaten, welche die IATF den Unternehmen zugesteht.

Management in der Pflicht

Obwohl Werkzeuge für die Unternehmensführung und für die Bewertung von Risiken bereits bei der ISO TS 16949:2009 altbekannte Themen waren, erhalten diese Aspekte mit der ISO9001:2015 nochmals Nachdruck. Wir stellen während unserer Beratungstätigkeit fest, dass die Evaluation der interessierten Parteien (Stakeholder) und die Bewertung der damit einhergehenden Risiken für die Unternehmen nicht nur bei der Umstellung der ISO9001 einiges Stirnrunzeln verursacht, sondern auch bei gestandenen Automobilzulieferern Neuland betreten werden muss. Die Unternehmensleitung wird insgesamt stärker in die Pflicht genommen. Es wird erwartet, dass sie über ihre Aktivitäten, Lenkungsmethoden und die daraus resultierenden Ergebnisse transparent Auskunft geben kann. Oft fehlt es lediglich an ein paar guten Tipps und Vorlagen, um die Stirnfalten in ein Aha-Erlebnis zu verwandeln.

Die IATF 16949 legt hier noch nach und fordert Aussagen zu „Corporate Responsibility“ wie Ethik, Verhaltenskodex, Antikorruption etc. Meiner Auffassung nach sind diese Themen in unseren Breitengraden nicht das Problem der Einhaltung, sondern eine erforderliche Auseinandersetzung mit der eigenen Verantwortungshaltung, der zur Unternehmen passenden Formulierung und die verständliche Kommunikation nach innen und nach aussen. Womit sich der Kreis zu den interessierten Parteien wieder schliesst.

Weiterbildung mehr Stellenwert

Gesteigerte Anforderungen sind auch in Bezug auf das Wissensmanagement auszumachen. Die Ansprüche der ISO9001 werden durch die IATF mit expliziten Anforderungen an die internen- und 2nd Party Auditoren strenger. Meiner Auffassung nach kann die Verschärfung durchaus als Chance gesehen werden. System- vor allem aber Prozessaudits, die von professionellen und erfahrenen Auditoren durchgeführt werden, leisten einen vitalen Beitrag an die interne Prozessoptimierung und die Lieferantenentwicklung. Im Dialog kann langfristig mehr Geld gespart werden als mit kurzfristigen und zermürbenden cost-saving-Runden.

Auch die Produktsicherheit (der PSB), die bisher hauptsächlich von VW stark thematisiert wurde, wird in der IATF nun ausdrücklich behandelt (Kap. 4.4.1.2). Auch dazu ist der Nachweis gefordert, dass die von der Organisation nominierte Persönlichkeit über die entsprechenden Kenntnisse verfügt.

Dokumentationsaufwand hoch

Im Gegensatz zur ISO 9001:2015, die versucht, den Dokumentationsaufwand zu verringern, verlangt die IATF 16949:2016 insgesamt 24 dokumentierte Informationen und Prozesse – in Ergänzung zu ISO 9001:2015. Dazu zählen beispielsweise das Management von produktsicherheitsrelevanten Produkten und Produktionsprozessen sowie gesetzliche- und behördliche Anforderungen. Die Forderung nach einem dokumentierten Entwicklungsprozess macht Sinn. Denn nur mit einem gut strukturierten und interdisziplinär funktionierenden APQP-Prozess wird der Serieanlauf von neuen Produkten zum Erfolg.

Die Zeit ist knapp bemessen

Die „Transition to IATF“, wie die Umstellung der ISO TS 16949:2009 auf die IATF 16949:2016 auch genannt wird, ist grundsätzlich kein Hexenwerk. Die Überprüfung der bestehenden Dokumentation und das damit verbundene Aufzeigen der Unterschiede (GAP-Analyse) ist jedoch eine nicht zu unterschätzende Fleissarbeit, die Know-how erfordert.

Ab dem 14. September 2018 verlieren alle ISO TS16949-Zertifikate ihre Gültigkeit. Gemäss den IATF Transition Requirements dürfen von den Zertifizierungsstellen jedoch bereits ab dem 1. Oktober 2017 keine Audits (Überwachungs-, Transfer- oder Rezertifizierungsaudits) mehr durchgeführt werden.

Nachdem die IATF 16949:2016 im Oktober 2016 herausgegeben wurde, dauerte es bis im Dezember 2016, bis sie dann wirklich auch verfügbar war und geschult werden konnte. Somit bleiben für die Umstellung von ISO TS 16949 auf die IATF 16949:2016 faktisch neun Monate übrig. Diese kurze Fristansetzung ist ein Ei, das von Schreibtischtätern der IATF ins Nest der Unternehmen gelegt wurde. Wahrscheinlich hat kein Quality Manager auf verschärfte Anforderungen aus der Automobilindustrie gewartet, um diese dann auch noch im Eilzugstempo zu implementieren. Das Tagesgeschäft, mit dem notabene das Geld verdient wird, um die QM-Systeme zu unterhalten, bleibt ja nicht stehen, bis die Umstellung auf die IATF abgeschlossen ist. Die Produkte wären bestimmt nicht schlechter geworden, wenn man für die Umstellung auf die IATF 16949:2016 den gesamten Zeitraum bis am 14. September 2018 hätte nutzen dürfen.

Eine straffe Projektplanung, Ressourcen (interne und ggf. externe) und ein komprimierter Wissenstransfer ins Unternehmen sind in jedem Fall erforderlich, um das anspruchsvolle Ziel zu erreichen.